Der „Centralbahnhof Darmstadt“ der Main-Neckar-Bahn ist ein besonders schönes Anlagenthema, das ich bei meinem Besuch des Eisenbahnmuseums Darmstadt-Kranichstein in der Umsetzung in Spurweite H0 vorfand. Aus der Zeit, als die Lokomotiven das Schnaufen lernten, gemächlich und doch geschäftig. Eine Zeit des Aufbruchs und Umbruchs. Und nur aus heutiger Sicht kann man die damalige Eisenbahntechnik als „oldschool“ abtun. Damals war es „Rocket Science“ und die ersten Eisenbahngesellschaften erlebten eine fulminante Zeit des Aufstiegs in Wirtschaft und Börse, wie man es heute nur von den Techs kennt.
Der „Centralbahnhof Darmstadt“ der Main-Neckar-Bahn im Maßstab 1:87
„Kann man diese sehr bewegte Zeit des Aufbruchs auf einer Modellbahnanlage einfangen?“ Damals wollte ja ein jeder dabei sein, hatte man den Nutzen erst erkannt. Nur wenige Zögerliche versperrten sich der Technik. Es war ein Sog und die Geschwindigkeit der Verbreitung der Eisenbahn in Deutschland nahm rasch zu.
Ich finde, „Ja, man kann!“. Der Bahnhof war vielerorts ein Ort, den man aufsuchte, um diese Stimmung zu riechen, sich im Umfeld des Neuen zu zeigen, von anderen dort wahrgenommen zu werden. Und das ist der „Modellbahnanlage Darmstadt 1846“ sehr wohl gelungen. Die Figuren auf der Anlage drücken es für mich aus. Sehr festlich gibt man sich dort, was kein Alltag war. An den beiden Kopfenden der Modellbahnanlage wird man ein Stück Umland gewahr, das weniger für Festlichkeit sondern mehr für einen bescheidenen Lebensalltag steht. Da sticht der befrackte Besucher im Bahnhof schon deutlich ab.
Ach ja: alle Fotos kann man durch Anklicken vergrößern.
Fast schon mondän
Der Alltag im Umland
Von Drehscheiben und Schiebebühnen
„Wie muss man sich den Bahnhof von 1894 vorstellen?“ – eine Frage, auf die viele Eisenbahnenthusiasten nicht sofort eine Antwort wissen. Was war es, das das Flair eines solchen Bahnhofs ausmachte? Sind es die Länderbahnlokomotiven und -waggons? Sind es die kurzen Gleislängen? Die minimalistischen Bahnsteige?
Viel Handarbeit bei der Eisenbahn
Nun – ich kann nur für mich sprechen. Tatsächlich konnte ich es nicht benennen. Die Frage kam bei mir sehr plötzlich auf, als ich die Modellbahnanlage vor mir sah. Sofort stachen mir die schier endlosen Hallen bzw. Schuppen ins Auge, welche durch ein verschachteltes System von Drehscheiben und Schiebebühnen verbunden waren.
Offensichtlich brachte man eine Vielzahl von Waggons in Hallen unter, welche man per Schiebebühne auf das entsprechende Gleis verschubte und dann in die Halle schob. Ob die Halle nur Unterkunft oder Lager war, konnte ich mir nicht erschließen. Später dann entdeckte ich auf einer Tafel den Hinweis auf den Verwendungszweck: es handelt sich um einen Lokschuppen mit Werkstatt sowie ein Wagenwerk und Anlagen zur Unterhaltung der Fahrzeuge.
Es war jedoch nicht ganz so wichtig. Das Gesamtbild der Hallen, Drehscheiben und Schiebebühnen bildete einen solchen Gegensatz zur heutigen Bahn, dass es sofort meinen Blick dauerhaft einfing.
Waren die Menschen 1846 anders?
Ich begann mir das Gesehene zu erschließen und vor meinem geistigen Auge sah ich plötzlich Menschen aus der Zeit dort hantieren. Ich stellte für mich fest, dass damals sehr viel mehr Menschen am Produktionsprozess beteiligt gewesen sein mussten als heute. Und es waren sicher viele Arbeitsplätze für Ungelernte und Menschen mit niedrigem Ausbildungsstand dabei. Das war sicher keine schlechte Sache.
Ich blickte auch in die Gesichter der geschäftigen Menschen und entdeckte zu meinem Erstaunen viel Bekanntes. Waren die Menschen damals wirklich so verschieden?
Ein Tagelöhner trottete damals sicher per pedes nach Hause, wo er sich heute von den Öffis chauffieren lässt oder in sein Auto einsteigt.
Die Anstrengung der Arbeit entdecke ich in den Gesichtern von damals. Dort, wo heute ein angestrengter Blick aufs Handy fällt, weil grade mal wieder der Akku leer ist. Wer hat es nun wirklich schwerer? Wer war nun glücklicher?
Die Modellbahnanlage
Die Modellbahnanlage des Centralbahnhof Darmstadt ist auch von den Ausmaßen her interessant. Das Bild rechts verdeutlicht das. Sicher nimmt der Hauptbahnhof den größten Teil der Anlage ein. Doch auch die Kopfenden der Anlage mit einem Stück „Großherzogtum Hessen“.
Letztere sind sehr schön ausgestaltet, zeigen beschauliches Landleben und geben den aus dem Centralbahnhof Darmstadt ausfahrenden Zügen eine herrliche Kulisse. Sowohl Richtung Darmstadt-Eberstadt und Bickenbach gen Heidelberg als auch im Norden über Arheilgen und Erzhausen ins ferne Frankfurt am Main.
Die Rheinstraße
Der Rheinstraße in Darmstadt wurde ebenfalls ein Abschnitt auf der Modellbahnanlage gewidmet. Einerseits ist das klar, weil die Geleise eben die Rheinstraße querten. Andererseits besticht dieser Anlagenabschnitt, weil er ein Stück des damaligen Zeitgeistes wiedertgibt.
Die Rheinstraße war und ist eine prächtige Straße in Darmstadt. Wer aus dem allseits beengten Mainz nach Darmstadt kommt, findet hier Weitläufigkeit und Großzügigkeit vor. Ein sehr angenehmes Erlebnis.
Die Fotos der Anlage zeigen eine prächtige Straße, auf der es sich fürtrefflich mit der Kutsche kutschieren und renommieren ließ. Bäume säumten die Rheinstraße und links und rechts der Straße führte ein Weg zwischen Baumreihen entlang, die ein sonntägliches Flanieren bei Kaiserwetter vor meinem geistigen Auge geschehen ließen. Das Foto gibt den Eindruck auch in etwa wieder.
Die Baumreihen sind heute verschwunden und wo einst die Kutschen fuhren, verbindet heute die Straßenbahn den neuen Bahnhof mit dem Ludwigsplatz. Der „Neue“ Bahnhof? Ja, genau. Der Centralbahnhof Darmstadt wurde ursprünglich an anderer Stelle errichtet: am heutigen Steubenplatz. Dort wurde er auch am 1. Juni 1846 eröffnet. Der heutige Bahnhof wurde sehr viel später, im Jahr 1912 eröffnet.
Die Fahrzeuge auf der Main-Neckar-Bahn
… sind uns Modellbahnern natürlich bekannt. Bei Trix und Fleischmann hat man hier eingekauft und viele bekannte Vertreter des Genres machen uns ihre Aufwartung auf dem Gleis.
Bayerische Lokomotiven habe ich erspäht. Kurz sinnierte ich, ob man in Darmstadt wohl so viele bayerische Lokomotiven gesehen haben wird.
Doch dann verwarf ich den Gedanken gleich wieder und wandte mich vom Nietenzählen ab und richtete mein Augenmerk schnell wieder auf das sehr gefällige Bild der vorbeieilenden Züge der Länderbahnzeit.
„Vorbeieilen“ ist allerdings übertrieben. Das am Fahrpult agierende Vereinsmitglied war sehr darauf bedacht, die Geschwindigkeit der Züge niedrig zu halten. Vielleicht war dies mit ein Grund, warum die gesamte Anlage so stimmig wirkte.
Noch ein paar Schnappschüsse gefällig?
Oft sind es ja die kleinen Motive, die man so unerwartet vor die Linse bekommt. Und die man nachher nicht mehr aus dem Kopf bekommt, weil sie einen einfangen und nimmer mehr loslassen wollen. Ja, so erging es mir ebenfalls. Hier meine kleine Sammlung an Bildern, die für mich Geschichten erzählen.
Wer die Modellbahn mal live sehen möchte: Hier geht es zur Webseite des Museums.