Der Kranwagen da oben bekommt in meiner Vitrine einen Ehrenplatz. Er hat keine Artikelnummer. Wie auch. Er stammt nicht von Märklin. Und tut es doch. Er ist nichts für Nietenzähler. Er ist mehr etwas für Menschen. Er schweigt. Und hat doch so viel zu erzählen.
Wie man einen Ehrenplatz erhält
Was ist geschehen? Es liegt nun doch schon etwas zurück. Und dennoch erinnere ich mich sehr gut, als Peter es mir sagte. Sein Vater ist von uns gegangen. Es hat ihn sehr getroffen. Das habe ich sofort bemerkt. Ich hatte es so nicht erwartet, aber als es da war, habe ich mit ihm gefühlt.
Mittlerweile ist Zeit verstrichen. Hat das Leben seinen alten Platz wieder eingenommen. Nicht ganz. Das Ereignis zieht seine Spur durch den Tag. Und wird es sicher noch eine ganze Weile weiter tun. Aber der Schmerz hat nachgelassen. Die Erinnerung nicht.
Sein Vater war erklärter Modellbahner, Märklinist, Modellbauer. Es verging wohl kein Tag, an dem er nicht in seine Welt im Maßstab 1:87 stieg und dort arbeitete. Fahrzeuge umbauen, Gebäude errichten. Anbauen. Umbauen. Ja, die Züge fuhren auch. Doch es war für ihn ein sehr facettenreiches Erleben in der kleinen Welt. Und für Peter ist es jetzt eine Brücke. Eine sehr tragfähige.
Die Modellbahnanlage hatte der Vater selbst irgendwann abgebaut. Gut in Kisten verpackt. Jedes Haus. Jeden Zug. Die Bewohner der kleinen Welt. Die Autos, Laster, Tannenbäume, das Bergwerk, die Bahnhöfe, die Brücken, die Fabriken, das Kiosk, die Dieseltankstelle. Ja, und auch den Kranwagen, den ihr auf dem Titelbild sehen könnt.
Peter sprach mich an. Es sollte in gute Hände kommen. Es war eben an der Zeit, loszulassen. Aber es hängen eben doch Erinnerungen dran. Und vielleicht will man dann irgendwann doch nochmal draufschauen. Da war es gut, wenn es zu jemandem kommt, bei dem es sorgsam aufgehoben ist. Wo es auf dessen Modellbahnanlage zu neuem Leben erwachen darf. Wo er sich ebenfalls freuen würde, wenn er es in Aktion sehen könnte.
Ich fühlte mich geehrt und wusste das Angebot sehr zu schätzen. Und bin mir meiner Verantwortung sehr bewusst. Als wir im Zimmer und im Keller die vielen Kisten öffneten, nahm ich sehr, sehr viele Dinge in die Hand. Ich betrachtete sie und vor meinem geistigen Auge hatte ich Bilder, was er mit dem Bahnhof, mit dem Loreley-Tunnel, mit dem Bus, mit der Fabrik erlebt haben mag. Und das gab mir Ideen, wie das jeweilige Stück in meiner Modellbahnanlage Platz finden würde.
Es war so Vieles, das er in all der Zeit erstanden, umgebaut, verändert hatte. Der Kranwagen vom Titelbild beeindruckte mich sehr nachhaltig. Er erzählt mir, mit wieviel Elan er sein Hobby betrieben hatte. Ich beschloss, dem Kranwagen stellvertretend für die anderen Schätze einen Ehrenplatz in meiner Vitrine zu geben. Er wird jetzt in dem königlich bayrischen Zug mitgeführt, kurz vor dem Packwagen.
Eine kleine Revue an Erinnerungen
Der Kranwagen war im ersten Leben ein Tender. Das kann man auf den nachfolgenden Fotos erkennen. Ihm wurde eine Plattform gegeben. Darauf wurde der Ausleger des Krans montiert – und zwei emsige Techniker bzw. Bediener.
Die Fotos weckten auch bei mir Erinnerungen an so manches Erlebnis in meiner Kindheit. Wiking-Autos können eben auch Geschichten erzählen. Güterwägen auch. Und alte Gebäude erst recht. Ich habe die ausgewählten Fotos hier ihre Geschichten erzählen lassen. Alles ist angekommen in meiner Welt.
Ich weiß nicht, wie es euch geht. Viele von uns haben ähnliches wie Peter erlebt. Bei Vielen wird dies für die Kinder anstehen. Irgendwann. Da wird man sich sicher auch sowas wie einen Ehrenplatz wünschen, an dem die eigenen kleine Welt weiterleben kann.
Sturmi